Veröffentlicht am 27. März 2023

Die echte Poppy: Die Story von Mars Argo

«I Can Only Be Myself» heisst der neue Song von Brittany Sheets aka Mars Argo. «Ich kann nur ich selber sein.». Eine schmerzhafte Erkenntnis für die Sängerin, deren altes Selbst heute von einer anderen Person gelebt wird. Mars Argo war der Prototyp der Weirdo Youtube-Sensation Poppy und auf dem besten Weg zum Star. Dann verschwindet sie spurlos. Ein Pop-Drama in 5. Akten.

Journalist

Es ist kaum möglich, den Einfluss von Myspace auf die Musik-und Popkultur zu überschätzen. Adele, Calvin Harris und die Arctic Monkeys sind nur drei der unzähligen Acts, die der Social Media-Plattform ihren Durchbruch zu verdanken haben und auch unsere Geschichte startet hier.

Akt I: Liebe auf den ersten Klick

2008 bekommt die damals 20-jährige Brittany Sheets eine Freundschaftsanfrage von Corey Mixter. Mixter produziert Sketches und Musik, Sheets singt gerne – man versteht sich und bald wird aus der Internetbekanntschaft eine Beziehung. Gemeinsam kultivieren sie ihre Kunstfiguren, Mars Argo und Titanic Sinclair, in kurzen abstrakten Clips, irgendwo zwischen Satire, Gesellschaftskritik und Internetkultur. Argo ist die tragende Figur der Sketches. Sie spricht mit einer hohen und monotonen Stimme und in einem A.I.-haften Rhythmus.

Neben den Sketches arbeiten Argo und Sinclair an ihrer eigenen Musik. 2009 erscheint das erste und einzige Album, das die beiden gemeinsam mit einigen Freunden aufnehmen. «Technology Is A Dead Bird» klingt wie die meisten Alben von einem zusammengewürfelten Haufen an MySpace-Hipstern halt so klingen.

In Kombination mit Mars Argos Online-Persona wird daraus aber ein veritabler Hype und Publikationen wie das Vice Magazine schreiben die Indie-Band zur neuen Pop-Hoffnung hoch. Daraus wird jedoch nichts: Neue Releases erscheinen zu spät oder gar nicht, der Song-Output schrumpft und die Videoclips werden weniger. 2014 trennen sich Argo und Sinclair erst romantisch und wenig später auch künstlerisch.

Akt II: Mars Argo taucht ab

Mars Argo ist im Anschluss darauf für einige Zeit weiterhin auf Social Media aktiv. Vor allem über Twitter gibt es unregelmässig kryptische Updates. Ob diese von der Kunstfigur oder von Brittany Sheets verfasst werden, lässt sich nur schwer deuten. Wer auch immer gerade in die Tasten haut – sie hat keine gute Zeit. Lange geht der Seelen-Striptease aber nicht, schon bald verwaisen die Online-Profile und sämtliche Inhalte, bis auf drei Videos, werden gelöscht. Mars Argo verschwindet daraufhin komplett.

Akt III: Poppy betritt die Bühne

Beinahe zeitgleich mit Argos’ Verschwinden startet der Youtube-Kanal von Poppy. Die zierliche Künstlerin zeigt sich darauf in kurzen, abstrakten Clips, irgendwo zwischen Satire, Gesellschaftskritik und Popkultur. Sie spricht mit einer hohen und monotonen Stimme und in einem A.I.-haften Rhythmus. Deja-vu? Die Gemeinsamkeiten hören da aber nicht auf. Auch in Sachen Ästhetik und Bildsprache ähneln sich die Videos frappant.

Die Erklärung findet sich in den Credits – im Regiestuhl sitzt Titanic Sinclair, der offenbar die kreativen Fäden des Poppy-Projekts spannt. Kommentare, die Ähnlichkeiten zu Mars Argo ansprechen, werden umgehend gelöscht. Weder die Künstlerin selber noch Sinclair adressieren die Situation. Poppy schafft, woran Mars Argo scheiterte: Ihre Online-Persona wird zur Kultfigur. Gemeinsam mit Sinclair verfeinert sie den Brand und nutzt die Aufmerksamkeit für den Release der ersten Single «Everybody Wants To Be Poppy». Ein Songtitel, der sich für Mars Argo wie ein Schlag ins Gesicht angefühlt haben muss. 2016 folgt die EP «Bubblebath» und damit die Etablierung im Mainstream. Das Poppy-Projekt ist ein voller Erfolg.

Akt IV: Wiedersehen vor Gericht

2018 verklagt Brittany Sheets (Mars Argo) Corey Mixter (Titanic Sinclair) und Moriah Rose Pereira (Poppy). Der Vorwurf? Identitätsdiebstahl. In der 50-seitigen Anklageschrift halten Sheets’ Anwälte akribisch die vielen Gemeinsamkeiten zwischen Mars Argo und Poppy fest. Die Dokumente geben zudem Einblick in die Gründe von Sheets’ Verschwinden. So soll Mixter sie über Monate hinweg gestalkt und belästigt haben. Dazu hatte er offenbar jegliche Versuche, sich als Künstlerin selbstständig zu machen sabotiert. Sheets sah sich daraufhin gezwungen L.A. zu verlassen und unterzutauchen, um dem psychischen Terror ihres Ex-Freundes zu entkommen.

Auszug aus Brittany Sheets' Anklageschrift. Quelle: TMZ.
Auszug aus Brittany Sheets' Anklageschrift. Quelle: TMZ.

Nun sollten also die Gerichte entscheiden, inwiefern der urheberliche Schutz auch für Kunstfiguren greift. Keine einfache Sachlage, zumal die Kreation von Mars Argo ein Gemeinschaftsprojekt war und für den Prozess keine Dokumentation existiert. Dazu kam es allerdings nicht. Noch im selben Jahr einigen sich die Parteien aussergerichtlich, worauf ist zunächst unklar. 2019 verkündet Sheets dann via Social Media-Post, dass sämtliche Rechte am Mars Argo-Brand nun ihr gehören.

Akt V: Die Rückkehr der Mars Argo

Mars Argo ist also zurück und die Fans sind verzückt, müssen aber noch volle drei Jahre warten, um den ersten Song aus der Post-Titanic Sinclair-Ära zu hören. «Angry» erscheint im Frühjahr 2022 und reflektiert inhaltlich Mars Argos schwierige letzten Jahre. Sinclair bestätigt unterdessen seinen Ruf als waschechter Creep: Nach fünfjähriger Zusammenarbeit trennt sich Poppy von dem Produzenten, weil dieser wiederholt versucht haben soll, sie zu manipulieren.

Was genau Sheets mit Mars Argo vorhat, ist derzeit noch unklar. Bis auf die beiden Songs gibt es kein neues Material und Presseanfragen bleiben unbeantwortet. Gemessen an dem positiven Echo und dem Support, den die beiden Songs ausgelöst haben, dürfte aber immer noch ordentlich Potential in dem Namen schlummern. Nun liegt es an Sheets dieses einzulösen. Sie hätte es verdient.

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