Veröffentlicht am 17. Mai 2022

Das erste europäische K-Pop-Festival: Ekstase im Shitstorm

Es wurde als «Europe's First K-Pop Mega Festival» beworben und soll K-Pop auf dem europäischen Event-Markt etablieren. Doch trotz des hochkarätigen Line-ups gab es für viele Fans neben der hörbaren Euphorie auch einen hohen Frustfaktor. Wir waren vor Ort.

Journalist
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Die Bühne des KPOP.flex in Frankfurt

Die Promotion funktionierte vorzüglich, die Presseberichte im Anschluss sind durchweg positiv: So was habe es noch nie gegeben in Europa. Das KPOP.flex im Deutsche Bank Park in Frankfurt sei das erste seiner Art. Die bunte Welt des K-Pop werde hier perfekt auf die Bühne gebracht. Und: Das KPOP.flex wird im nächsten Jahr wiederkommen. Schon im Vorfeld verkündete Peter Kötting vom örtlichen Veranstalter PK Events im Branchenmagazin «Musikwoche» das Event sei Teil eines auf den Kontinent zugeschnittenen Fünfjahresplanes. Tatsächlich ist es längst überfällig, das K-Pop auch in Europa präsenter wird. Und für Fans des Genres war das KPOP.flex wirklich beeindruckend besetzt. Trotzdem macht man eindeutig etwas falsch, wenn eines der meistgeschriebenen Worte in den Kommentaren auf dem Instagram-Profil des Events «scam» ist – was man ja als «Betrug» oder «Beschiss» übersetzen kann. Nun sind K-Pop-Fans im Internet vielleicht manchmal etwas heißblütig und viele dieser Posts wurden im Eifer des Gefechts abgesetzt, doch es gab leider wirklich gute Gründe, sich verarscht zu fühlen.

Aber der Reihe nach: Das KPOP.flex fand am vergangenen Wochenende in Frankfurt am Main statt und lockte an zwei Tagen 70.000 Fans ins Stadion, in dem sonst die Eintracht spielt. Am Samstag war die Veranstaltung so gut wie ausverkauft, am Sonntag war noch Luft nach oben. Vor dem Stadion wurde ein sogenanntes «Korea Festival» gefeiert. Im Grunde eine gute Idee, denn die wachsende Zahl der K-Pop-Fans hat ein großes Interesse an der koreanischen Kultur. Außerdem hat auch Südkorea schon vor Jahren erkannt, dass koreanische Popmusik die wohl mächtigste Soft-Power-Waffe ist, die sich ein Staat wünschen kann. Außerdem ist K-Pop aus Business-Sicht höchst interessant (hier findet ihr unseren Longread zum Phänomen K-Pop) – und lukrativ. Die Bands und einzelnen Idols sammeln Streams und Follower:innen in Millionenhöhe und die südkoreanische Branche hat in den letzten Jahren ein System aus Produkten, Events und sozialen Services aufgebaut, das die Kassen klingeln lässt. Was für die Fans allerdings irgendwie klargeht: Weil das «Produkt» einfach stimmt für sie. K-Pop ist eh Entertainment in der Champions League – und wird hier im Gegensatz zu anderen Genres durchaus von allen Beteiligten als Dienstleistung am Fan begriffen.

Das «Korea Festival» sorgte allerdings gleich für das erste Problem: Wer eine K-Pop-Veranstaltung macht, der sollte eigentlich wissen, dass viele Fans sehr, sehr, sehr früh anreisen. Als um 10 Uhr also das Korea Festival öffnete, dass dann leider wie eine koreanische Tourismus-Messe wirkte, waren also schon Zehntausende da, die in der prallen Sonne ausharren mussten – für diese Riesenmenge an Menschen stand aber nur eine Handvoll Getränkebuden parat. Wo das Wasser dann mit Pfand 7,50 Euro kostete. Die Folge: Endlos lange Schlangen, stellenweise erschreckend wenig Platz und einige junge Frauen, die wegen der Hitze in Ohnmacht vielen. Zwar gab es irgendwann Gratis-Trinkwasser, aber wo man das finden konnte, wurde vor Ort nur leidlich kommuniziert.

Dass das KPOP.flex mit einem Shitstorm im Internet begann, hatte aber andere Gründe – die vielleicht aus kulturellen Unterschieden resultierten (wenn man wohlwollend auf die Sache blickt), oder aber strategische Verarsche waren. Beim «Festival», das von den Veranstaltern immer so genannt wurde, spielten nämlich einige der größten und spannendsten Acts des Genres – allen voran das ehemalige EXO-Mitglied Kai, die Boygroup NCT Dream und die Girlgroup (G)I-DLE. Einige, wie zum Beispiel die Girlband Mamamoo, die Newcomerinnen Ive oder Enhypen, spielten zum allerersten Mal in Deutschland oder gar in Europa. Allerdings hatte die offizielle Website insgesamt fünf Stunden Performances angekündigt – und ein wichtiges Detail unterschlagen: Nur die letzten zweieinhalb Stunden des Abends waren für die sieben Bands reserviert.

Als der Veranstalter den Timetable am Samstagmittag endlich postete, hagelte es wütende Kommentare. Denn die Fans hatten bei den recht hohen Ticketpreise, die meist im dreistelligen Bereich anfingen (für einen Tag), gedacht, die Bands hätten mehr Spielzeit als nur die 25 Minuten, die der Plan hergab. An dem Ablauf und den eng getakteten Spielzeiten sah man nämlich sofort, dass man es beim KPOP.flex nicht mit einem Festival, sondern mit einer Show zu tun hat, wie man sie aus dem koreanischen Fernsehen kennt. Was keine Wortklauberei ist – sondern ein spürbarer Unterschied. Tatsächlich war der koreanische TV-Sender SBS Mitveranstalter, der regelmäßig das Format «Inkigayo» organisiert – ebenfalls eine Art abendfüllende K-Pop-Revue mit Publikum. Womit dann auch die Behauptung, so was habe es in Europa noch nie gegeben, etwas wackelt: Der ebenfalls koreanische Sender KBS hatte nämlich schon 2018 sein ähnliches Konzept «Music Bank» nach Berlin gebracht. Zu allem Übel war dann die anderthalbstündige «Pre-Show» bisweilen eine Reine Tourismus-Werbe-Veranstaltung. Während im Netz der Shitstorm schwelte (und von den Veranstaltern weitestgehend unkommentiert blieb), «eröffnete » eine Koreanerin mittleren Alters die Bühne mit einer auf dem Smartphone abgelesenen Rede, die den Fans die wunderschöne Stadt Busan nahebringen sollte. Wo übrigens 2030 eine Expo stattfindet – deren Budget vermutlich all die Stände auf dem Korea Festival mitfinanziert hat. An einer Stelle fiel dabei tatäschlich der Satz: «After my speach we will show you a promotional video. Yeah, get excited!» Das Excitement blieb überraschenderweise aus. Auch die koreanische Modenschau und die guten Tanz-Gruppen konnten das Dilemma nicht retten, dass man für diese – vermutlich von Sponsoren und Tourismus-Geldern bezahlte Show – ebenfalls eine Stange Geld bezahlt hat.

Das musste dann die Show selbst erledigen: Oder vielmehr all die Idols und Bands, die aus Südkorea nach Europa gereist waren. Was zu Zeiten eines Angriffskrieges von Russland bedeutet: Flugzeiten von 14,5 Stunden. Wer die Begeisterung für K-Pop spüren wollte, der brauchte eigentlich nur die ersten Minuten der tatsächlichen Show beim KPOP.flex erleben. Schon wenige Minuten bevor die ersten Idols auf die Bühne kamen, rauschte ein hochtöniges Jubelkreischen durch die Reihen, dass die Musik locker übertonen konnte. Als dann Kai, Ex-Mitglied der vor BTS größten südkoreanischen Boyband EXO, als Host auf die Bühne kam und nach und nach alle anderen Performer:innen auf die Bühne holte, gab es kein Halten mehr. Hier musste man dann beeindruckt feststellen: Zumindest für die Länge der Show war jeder Frust bei den Fans passé.

Und dann ging es los: IVE, deren Debütsingle «Eleven » allein bei Spotify und Youtube bei jeweils rund 120 Mio Streams steht, kamen etwas fragwürdig klischeehaft in Schuluniformen auf die Bühne und spielten drei Songs. Dann gab es kurze, übersetzte, vorgescriptete Ansagen und Moderationsparts und schon ging es mit dem nächsten Act weiter: Enhypen, die noch als Newbies gelten, überzeugten mit ihrem etwas aggressiverem K-Pop, der hörbare Emo-Einflüsse zulässt. Die vier jungen Männer AB6IX zeigten vor ihrer ungefähr 16-minütigen Performance ein V-Log auf den Leinwänden von ihrer 16-Stündigen-Anreise – ein fast schon bizarres Zahlenverhältnis. Dann folgten allerdings nur noch Highlights: Mamamoo wurden laustark bejubelt, wobei das Mitglied Hwasa mit Abstand am lautestes bekreischt wurde. Sie ist eine Performerin, die ein wenig aus dem etablierten Schönheits-Ideal und der Attitüde der K-Pop-Perfomerinnen ausbricht und gerade deshalb in Europa gefeiert wird.

Auch (G)I-DLE sind auf der Bühne toughe Frauen und haben für ihren aktuellen Hit «Tomboy» sogar im Studio die E-Gitarren ausgepackt. Bei ihrer Performance sieht und hört man, wie wuchtig und mitreißend eine K-Pop-Single sein kann. Die jungen Männer von NCT Dream haben dann leichtes Spiel: Ihre Songs «Hot Sauce» und «Glitch Mode» sind übergroße K-Pop-Singles, zu denen man schlecht stillstehen kann. Kai, der dienstälteste K-Pop-Star des Abends hat dann am Ende wenig Mühe, die Bühne auch als alleinige Stimme zu füllen. Seine Performance und seine zahlreichen Tanzpartner:innen sorgen dafür, dass man – wie schon die ganze Show über – nicht so recht weiß, wo man hinschauen soll.

So gingen die meisten Fans am Ende also doch noch versöhnt nach Hause: Trösteten sich in ihren Cliquen, mit denen sie sich im Vorfeld verabredet hatten, tauschten die persönlichen Highlights aus, schickten – wenn es genug Netz gab – die ersten Tweets und Videos raus, die nicht voller Frust, sondern voller Euphorie waren. Denn das muss man am Ende sagen: Das Line-up war wirklich spektakulär und überzeugend und man kann davon ausgehen, dass der Frust bis zum nächsten Jahr größtenteils vergessen ist. Auch die Fans haben dieses Event voll und ganz an sich gerissen. Wer oft auf größere Konzerte geht, wird selten ein Publikum finden, das so leidenschaftlich, bunt, diverse, stylisch und untoxisch ist. Trotzdem: K-Pop-Fans mögen Kommerz gewöhnt sein – aber sie lassen sich halt nicht gerne verarschen. Die Macher haben noch am Sonntagabend gepostet, die vielen Kommentare nähme man sich zu Herzen. Man zöge für die Zukunft die nötigen Schlüsse daraus. Das ist doch ein Versprechen, mit dem man als Fan arbeiten kann – wenn es denn wirklich umgesetzt wird. Eines dürfte nach dem KPOP.flex aber dennoch klar sein: K-Pop ist gekommen, um zu bleiben. Und selbst wenn viele die Musik und die Acts nicht auf dem Schirm haben, ist dieses Genre nicht eine Nische, sondern eine kommerzielle Macht – die einen Höllenspaß macht, wenn man sich erstmal drauf einlässt.

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