Veröffentlicht am 25. Februar 2023

Awareness und Nachtleben

Anfang Februar hat sich Jocelyn Iten unter dem Titel «Jetzt wird auch das Nachtleben politisch korrekt» im Magazin der NZZ beschwert, dass der Klub, einst letzter Schonraum der Anarchie, durch neue Regeln zum Partycrasher werde. Es ist natürlich die Awareness, von der sie spricht.

In ihrem Beitrag fühlt sich Jocelyn Iten durch ein konsequent umgesetztes Awareness-Konzept ihrer Lust aufs Partymachen beraubt und, als man ihr ein Awareness-Konzept in 23 Zeilen in die Hand drückt, gar in ihre Zeit als Primarschülerin zurückversetzt.

In ihrem unterhaltsam geschriebenen Beitrag wundert sich Iten über Start-Ups, die mit Awareness-Schulungen Geld verdienen, über, mit grünen Bändelchen gekennzeichnete, Awareness-Teams, die in Clubs für Recht und Ordnung sorgen und über die kleine Lehrstunde des Awareness-Gurus beim Einlass. Als ihr homosexueller Kollege vom Awareness-Beauftragten zurechtgewiesen wird, weil der versehentlich die Finta-Toilette statt des All Gender-Klos aufsucht, amüsiert sie sich ein wenig, ist aber andererseits auch etwas konsterniert.

Jedenfalls: Wenn man ihren Beitrag durchgelesen hat, fragt man sich, wozu man eigentlich noch ausgehen soll, hat das doch so rein gar nichts mehr mit Spass zu tun. Klar: Die Macher des betreffenden Clubs werden entgegnen, dass sie diesen ganzen Aufwand mit Belehrungen, Einweisungen und Einsatztrupps nur betreiben, damit alle Besucher*innen des Clubs Spass haben können – gut, richtig und bedingungslos erstrebenswert.

Darauf kann man sich jedoch fragen, ob das nicht auch möglich wäre, ohne dafür und auf Kosten der Gesamtheit ein gutes Stück Spass zu opfern. Denn Spass ist das einzige, was sie sich vom Nachtleben wünscht. Der Alltag bietet meist mehr als genug Belehrungen, Einweisungen und für Recht und Ordnung sorgende Einsatztrupps, bezahlt von der Firma, für die man arbeitet und von der öffentlichen Hand. Genug ‘George Orwells 1984’-Gefühl. «Alle sollen Spass haben». Das ist korrekt. Aber dieser Grundsatz muss subtil und ohne einen Overkill an Belehrungen, Einweisungen und Zurechtweisungen erfüllt werden, der die Gäste seines Spasses und damit das Nachtleben seiner einzigen Dienstleistung beraubt.

Zu guter Letzt: Wenn sich Clubs allzu imperativ zu hehren Hütern der Moral aufspielen, wird’s heuchlerisch, denn jeder Club verdient sein Geld mit Drogen, mit legalen die er verkauft und illegalen, die die Party am Laufen halten. Und wer auf diese Weise sein Geld verdient, der eignet sich nicht zum lehrmeisterlichen Verfechter von Sitte und Anstand - das ist kein Whataboutismus, sondern einfach nur Tatsache.

Die Ziele, die man für eine Gesellschaft hegt, mögen noch so edel sein: Wenn sie es nicht schafft, Mittel und Wege zu finden, um eine Mehrheit ins Boot zu kriegen, schüttet jede Bewegung nur Wasser auf die Mühlen ihrer Gegner.

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